Discours de l'ancien conseiller fédéral Kaspar Villiger Journée du PLR Berthoud 22.10.2022

Sicherheit durch Resilienz

Es gilt das gesprochene Wort.

 

I

Ich beginne mit zwei Vorbemerkungen. Zum ersten möchte ich Bundespräsident Cassis und Bundesrätin Keller-Sutter für Ihre ausgezeichnete Arbeit in für das Land zentralen Dossiers herzlich danken. Ich kann ermessen, was es bedeutet, unter den heutigen unglaublich schwierigen Umständen Verantwortung zu tragen. Ich leide jedes Mal mit, wenn ich die Zeitung aufschlage. Zum zweiten: Ich habe gezögert, die Einladung zum heutigen Referat anzunehmen, weil ich weiss, dass man es im Allgemeinen nicht so schätzt, wenn sich alt Bundesräte zu aktuellen politischen Fragen äussern. Ich tue es heute trotzdem, weil mich Euer Präsident eindringlich gebeten hat, hier einige grundsätzliche Überlegungen zur Sicherheitspolitik in unruhiger Zeit zu präsentieren und weil ich mir als normaler Bürger dieses Landes wirklich Sorgen mache. Ich bitte dafür um Verständnis.

Wenn alles schiefläuft, was schieflaufen kann, spricht man von Murphy’s Law. Man hat den Eindruck, dass nach Jahrzehnten von Sicherheit und Prosperität genau das jetzt passiert: Zuerst die Finanzkrise, dann die Eurokrise, dann die Corona-Pandemie, dann die Erhitzung des Planeten, dann die Globalisierungskrise, dann neue Hungerkrisen, dann die Energiekrise, dann die Inflation. Und plötzlich noch das, was eigentlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kaum jemand mehr für möglich gehalten hatte:  ein brutaler Angriffskrieg auf europäischem Territorium, der sich zu einer folgenschweren grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen Demokratie und Autokratie, Recht und Willkür, Freiheit und Zwang ausgeweitet hat und dessen Ausgang die künftige Sicherheits- oder Unsicherheitsordnung Europas und der Welt massgeblich prägen wird.

Alles das ist vernetzt, beeinflusst sich gegenseitig und knüllt sich zu einem undurchsichtigen Krisenknäuel zusammen, und niemand kann ausschliessen, dass es nicht noch weit schlimmer kommen könnte. Aber was immer auch kommen mag: Auch wir als Kleinstaat inmitten dieser Stürme sind betroffen. Deshalb stehen wir vor dem Problem, wie wir uns als kleine weltoffene und exportabhängige Demokratie in diesem Sturm behaupten können.

II

Viele von Ihnen erinnern sich gewiss an den Französischunterricht und an die Fabeln von La Fontaine. Eine davon ist für unsere Sicherheitspolitik geradezu modellhaft: Der Streit zwischen der Eiche und dem Schilfrohr. Als ein Sturm anbricht, bietet die Eiche dem Schilfrohr Schutz an. Das Schilfrohr antwortet, es beuge sich und breche nicht. Als der Sturm in einen Orkan ausartet, wird die Eiche entwurzelt und stirbt, aber das Schilfrohr richtet sich wieder auf und erholt sich. Kluge Sicherheitspolitik besteht darin, beide Überlebenskonzepte, Standhalten und Zurückfedern, klug zu kombinieren. Daraus entsteht Resilienz: Robustheit plus Elastizität, Widerstandskraft plus Regenerationsfähigkeit. Alle sicherheitspolitischen Massnahmen lassen sich diesen beiden Polen zuordnen. Zum Pol der Robustheit gehören im Wesentlichen eine nachvollziehbare und respektierte Aussenpolitik, glaubwürdige Verteidigungsfähigkeit, finanzielle Stabilität, stabile Währung sowie ein ganzer Strauss von Massnahmen wie Lagerhaltung, Reservebildung, Risikodiversifikation, Redundanzen, Versicherungen und dergleichen, die man unter dem Begriff Vorsorge zusammenfassen kann. Der Regenerationspol umfasst die Fähigkeit, komplexe Krisen zu managen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, Notlagen zu überbrücken und der Wirtschaft eine Rahmenordnung zu sichern, die ihre natürlichen Erholungskräfte nicht lähmt.

Obwohl sich viele Politiker gerade in Krisen gerne als Allesretter anpreisen – Stichwort ist etwa das Scholz’sche «niemand wird alleingelassen» - kann der Staat bei weitem nicht alles heilen, was Krisen anrichten. Ohne Selbstverantwortung von Bürgern und Wirtschaft ist Resilienz nicht erreichbar, aber auch nicht ohne die Bereitschaft der Menschen, auch mal ein Opfer zu bringen oder auf einen Besitzstand zu verzichten. Alexis de Tocqueville hat einmal gesagt, je höher der Lebensstandard und die soziale Gerechtigkeit seien, desto unzufriedener sei man mit der Welt. Auch in unserem in jeder Hinsicht noch privilegierten Land hinterlassen die Verlautbarungen mannigfacher Lobby-Organisationen oft den Eindruck, unser Land bestehe nur noch aus lauter wehleidigen Opfergruppen, die lautstark Unterstützung fordern, und dies selbstverständlich im Gewande des Gemeinwohls. Natürlich braucht es, wie wir während der Pandemie gesehen haben, in vielen Krisen auch staatliche Hilfe. Aber das Füllhorn als flächendeckende Giesskanne werden wir uns nicht leisten können. Wir werden nicht umhinkommen, zwischen Bedürftigkeit und Anspruchshaltung zu unterscheiden. Wir müssen auch aufpassen, dass die in uns allen schlummernden Selbstheilungskräfte nicht mit der Zeit verkümmern.

Ich möchte nun auf 5 für die Resilienz wichtige Bereiche kurz eingehen: Finanzstabilität, Landesverteidigung, Neutralität, Krisenmanagement und wirtschaftliche Rahmenbedingungen.  

III

Fiskalische Resilienz bedeutet, eine Finanzpolitik zu betreiben, die es nach einem Schock – etwa einer schweren Rezession, einem Erdbeben oder einer Pandemie – erlaubt, die entstehenden Schäden zu beheben, ohne die eigene finanzielle Stabilität zu verlieren. In der Schweiz hat das während Corona modellhaft funktioniert. Die Schuldenbremse verlangt zwar eine ausgeglichene Rechnung, ermöglicht aber insofern eine antizyklische Konjunkturpolitik, als sie in der Rezession Defizite zulässt, die während des Booms durch Überschüsse kompensiert werden müssen. Bei schweren exogenen Schocks gestattet sie zudem ausserordentliche Ausgaben, um das Zurückfedern zu ermöglichen. Durch seine solide Finanzpolitik konnte der Bund von 2003 bis 2019 Überschüsse von etwa 34 Milliarden anhäufen, was zufällig gerade etwa den ausserordentlichen Ausgaben der Jahre 2020 bis 2022 entspricht, die der Milderung coronabedingter Schäden der Wirtschaft dienten. Deshalb konnten wir uns dieses gigantische Hilfspaket leisten, ohne unser hervorragendes Rating und unsere fiskalische Handlungsfähigkeit zu verlieren. Offenbar hat aber gerade das im Parlament die Illusion genährt, dieses Füllhorn könne problemlos weitersprudeln. Bundesrat Maurer hat in der vergangenen Session auf der Basis der aktuellen Finanzplanung vorgerechnet, welche horrenden Defizite sich schon heute wieder abzeichnen, nota bene noch ohne den diskutierten Wunschbedarf im Steuerbereich. Sollte sich die Wirtschaftslage plötzlich noch verschlechtern, was nicht auszuschliessen ist, könnten auch die Steuern stärker als erwartet einbrechen, wie wir das in den Neunzigerjahren erleben mussten. Die auch damals herrschende finanzpolitische Sorglosigkeit war es schliesslich, die uns zur Schaffung der Schuldenbremse zwang, sozusagen als Instrument des Volkes zur Disziplinierung des Parlaments. Rot-Grün malte damals wie heute wegen der folgenden Entlastungsprogramme düsterste Rezessions- und Verarmungsszenarien an die Wand. Nichts davon hat sich bewahrheitet. Im Gegenteil. Die Schweiz beschritt einen international fast beispiellosen Erfolgspfad. Gerade in unsicherer Zeit ist es zwingend, durch eine disziplinierte Finanzpolitik die Resilienz wieder aufzubauen und auf den leichtfertigen Missbrauch des Instruments der ausserordentlichen Ausgaben beim kleinsten Gegenwind zur Aushebelung der Schuldenbremse zu verzichten. Das Beispiel der südlichen EU-Länder sollte uns Warnung sein. Sie nutzten die Ihnen von der EZB gewährte Tiefzins-Verschnaufpause nicht für die Konsolidierung ihrer Finanzen, sondern zur Erhöhung ihrer Verschuldung. Sie zahlen jetzt dafür einen hohen Preis, und nicht einmal eine neue Eurokrise erscheint als völlig ausgeschlossen.  

Die in der Schweiz viel tiefere Inflation als im Dollar- oder Euroraum zeigt auch die Vorzüge einer stabilitätsorientierten, standfesten und unabhängigen Notenbank. Es ist deshalb absolut notwendig, die neuerdings modischen Angriffe auf diese Unabhängigkeit durch allerlei politische Forderungen konsequent abzuwehren.

IV

Dass man sicherheitspolitische Versäumnisse nicht in kurzer Zeit nachholen kann, erleben wir vor allem in der Landesverteidigung. Die Illusion nach dem Zerfall der Sowjetunion, der ewige Friede sei ausgebrochen, hat auch bei uns dazu geführt, dass wir der Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit zu wenig Bedeutung beigemessen haben. Alles Militärische wurde zunehmend kleingeredet, verdrängt oder gar lächerlich gemacht. Eine Regierungspartei, die SP, nahm gar die Abschaffung der Armee ins Programm unter Hinweis auf den diffusen Traum eines kollektiven Sicherheitssystems unter Führung der UNO, das gerade im Moment krachend scheitert. Wir erleben zurzeit, dass es zum Überleben der Demokratie nicht genügt, dass sie das einzige System ist, dass den Menschen ein Leben in Würde erlaubt. Sie muss sich auch militärische verteidigen können. Allerdings müssen wir erkennen, dass auch grössere Länder heutzutage schon längst nicht mehr in der Lage sind, sich autonom zu verteidigen. Das ist auch bei uns der Fall, obwohl unsere Armee im Verhältnis zu ihren Kosten noch immer Beachtliches zu leisten vermag. Drei Aspekte fallen ins Gewicht: Erstens ist der Kleinstaat bei vielen neuen Bedrohungen finanziell und technologisch krass überfordert, etwa beim Angriff ballistischer Raketen, der Abwehr satellitengestützter Systeme oder beim Nachrichtendienst. Zweitens fehlt die Durchhaltefähigkeit auch dort, wo die Leistungsfähigkeit während einer begrenzten Zeit gegeben ist. Drittens bestehen in vielen Bereichen Lücken, die zu füllen sind. Das Neutralitätsrecht verpflichtet uns aber, unser Land verteidigen zu können. Aus den genannten Gründen ist das autonom schlicht nicht mehr möglich, sondern nur im Verbund und in Kooperation mit befreundeten Streitkräften. Das wiederum erfordert im modernen Gefecht zwingend Interoperabilität der Waffensysteme, der Führungsinstrumente und der Doktrinen sowie gemeinsames Training. Neutralitätsrechtlich ist Zusammenarbeit erlaubt, wenn man angegriffen wird, nicht aber das Eingehen einer Bündnisverpflichtung. Konkret kann diese Zusammenarbeit wegen unserer geografischen Lage nur mit der NATO geschehen, von der wir schon heute als Trittbrettfahrer massiv profitieren. Wir können aber nicht erwarten, dass in einem Angriffskrieg auf uns und unsere Nachbarstaaten die NATO-Truppen auch unsere Verteidigung übernähmen. Deshalb müssen wir das, was wir selber an Verteidigungsfähigkeit zu erbringen in der Lage sind, auch leisten. Ich bin froh, dass Bundesrat und Parlament den Mut hatten, die dringlichste Lücke zu schliessen und den F-35 definitiv zu beschaffen. Er ist aus drei Gründen die richtige Wahl: Erstens ist er dank eines technologischen Quantensprungs das leistungsfähigste Produkt, zweitens ist er nicht nur ein Kampfflugzeug, sondern auch ein fliegender elektronischer Datenstaubsauger, mit dem die Wirkung anderer Systeme massiv verstärkt werden kann, und drittens wird er zum europäischen Standard. Dabei wird es eine der wichtigsten Herausforderungen sein, neben dem allgemeinen Schutz des Luftraums die neue fliegende Daten- und Waffenplattform optimal für die Verstärkung der Wirkung unserer Bodentruppen zu nutzen.

V

Das bringt mich zur Neutralität! Ich bedaure, dass diese Frage vor allem die bürgerliche Seite des Landes spaltet, die doch eigentlich zur Lösung der wesentlichen Probleme des Landes zusammenarbeiten müsste. Aber die Frage ist wichtig, weil nach meiner Überzeugung die ultraorthodoxe Auslegung der Neutralität durch die SVP für unser Land und seinen Wohlstand enorme Risiken schaffen würde. Die Neutralität umfasst bekanntlich zwei Elemente. Das für uns zwingende Neutralitätsrecht wird in den Haager Abkommen von 1907 festgeschrieben. Es gilt nur für den Fall von Krieg zwischen Nationen und umfasst im Wesentlichen das Verbot der Teilnahmen am Krieg, das Verbot der Mitgliedschaft in militärischen Allianzen, das Verbot der Gewährung von Durchgangsrechten und das Verbot von Waffenlieferungen an nur eine Kriegspartei. Daran hält sich die Schweiz. Die Neutralitätspolitik ausserhalb von Kriegen bedeutet nur, die Glaubwürdigkeit der Nichtbeteiligung am Krieg zu wahren. Sie belässt der Aussenpolitik grosse Handlungsspielräume. Interessant ist, dass die Väter unserer Bundesverfassung die Neutralität bewusst nicht unter den Staatszielen aufführten, weil sie sie klugerweise nicht als Selbstzweck betrachteten, sondern als Instrument, das je nach sicherheitspolitischen Verhältnissen auch einmal obsolet werden könnte. Aus Sicht der Verfassung muss die Handhabung dieses Instruments an den Zielen der Verfassung gemessen werden, die unter anderen auch die Förderung einer friedlichen und gerechten internationalen Ordnung umfassen. Die dogmatische, enge Auslegung der Neutralität ist nicht etwa historisch belegt, sondern neueren Datums. Die Neutralität hat sich bewährt, aber eigentlich nur deshalb, weil sie stets situativ und den konkreten Umständen des Konflikts angepasst gehandhabt wurde, mal offener, mal strikter, wie der Historiker Jean-François Bergier es beschrieb. Als die Neutralität 1815 am Wiener Kongress der Schweiz «auferlegt» wurde, wie der gleiche Bergier es ausdrückte, lag dies klar im Interesse der uns umgebenden rivalisierenden Mächte. Das ist heute nicht mehr der Fall. Wir müssen ehrlicherweise feststellen, dass unsere Neutralität in unseren demokratischen Nachbarstaaten und im angelsächsischen Raum weitgehend negativ wahrgenommen wird, als im Grunde egoistisches Trittbrettfahren oder gar Profiteurentum. So ist denn auch das nur vorläufige Zögern vor dem Teilnahmeentscheid des Bundesrates an den Sanktionen am 24. Februar im Ausland mit Unverständnis zur Kenntnis genommen worden. Die Teilnahme war aber schliesslich unvermeidlich, wie die anschliessende bundesrätliche Analyse richtigerweise ergeben hat. Hätte die Schweiz anders entschieden, hätte sie wegen der Bedeutung des Finanz- und des Rohstoffhandelsplatzes Schweiz für die Sanktionen klar für den Aggressor Partei ergriffen und wäre nach meiner Meinung mit Sicherheit auch sanktioniert worden. Was das für unsere Exportwirtschaft und unseren Wohlstand bedeutet hätte, brauche ich hier wohl nicht zu erklären. Wir hätten uns in unserer Wertegemeinschaft total isoliert. Ich bin froh, dass Bundespräsident Cassis bei verschiedenen Gelegenheiten dem Ausland klar erklärt hat, warum wir neutral bleiben wollen und warum wir trotzdem unzweideutig auf der Seite von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten stehen, wenn diese – wie eben jetzt – fundamental angegriffen werden. Ich bin auch der Meinung, dass der von ihm verwendete Begriff der kooperativen Neutralität klug war, um im Ausland diesen vermeintlichen Widerspruch von Neutralität und Sanktion aufzulösen und der Neutralität den Egoismusbeigeschmack zu nehmen. Vergleichbares tat Bundesrat Petitpierre nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Image der Schweiz wegen der Neutralität auf einem Tiefpunkt war und er deshalb das Junktim von Neutralität und Solidarität prägte. Unserer Aussenpolitik Fesseln anzulegen, wie das die geplante Volksinitiative der SVP will, könnte je nach Art des Konfliktes gar unser wirtschaftliches Überleben existenziell gefährden. Eine allfällige Kooperation mit der NATO für unseren Verteidigungsfall zu trainieren, um im Konfliktfall verteidigungsfähig zu sein, wäre eine neutralitätspolitische Massnahme und verstiesse nicht gegen das Neutralitätsrecht, ein NATO-Beitritt aber schon, weil er uns auch zu Einsätzen verpflichten könnte, die mit der Verteidigung unseres Landes und der unser Land umgebenden demokratischen Staaten nichts zu tun hätten.

VI

Ein weiterer Problemkreis ist das Krisenmanagement unseres Landes. Es wird immer anspruchsvoller, weil der erwähnte Krisenknäuel fortlaufend neue Krisen gebiert. Schon die Bewältigung dessen, was man als normalen politischen Alltag bezeichnet, verläuft in der Demokratie, zumal der direkten, schwerfällig und harzig. Es liegt auf der Hand, dass die demokratischen Prozesse rasch an Grenzen stossen, wenn Unerwartetes mit hohem Schadenspotential geschieht, wenn ständig Brände gelöscht werden müssen und wenn unter hohem Zeitdruck Sofortmassnahmen zu treffen sind, um Schäden zu begrenzen. Das ist mit den normalen Kompetenzen, Strukturen und Prozessen nicht machbar. In diesem anspruchsvollen Umfeld müssen die staatlichen Instanzen in einen Krisenmodus überschwappen, der rasche Entscheide ermöglicht. Das bedeutet zunächst einen erheblichen Machtzuwachs der Exekutive. Dies wiederum darf nicht dazu führen, dass die zum Krisenmanagement Befugten der demokratischen Kontrolle entgleiten. Man darf feststellen, dass die Schweiz die jüngsten Krisen im internationalen Vergleich respektabel, aber nicht unbedingt glanzvoll bewältigt hat. Es muss leider vermutet werden, dass unser oft eher improvisiert anmutendes System der Arglist dieser Zeit nicht mehr gewachsen ist. Es bedarf der grundlegenden Überarbeitung. Ich weiss, dass Bundesrat, Parlament und Verwaltung sich dieser Problematik bewusst sind, und ich hoffe, dass eine taugliche Reform nicht an interdepartementalen Eifersüchteleien scheitert, die – wie man immer wieder hört und wie ich aus Erfahrung weiss - nicht unerheblich sein können. Ich will hier keine Vorschläge machen, sondern nur summarisch auf den grossen Umfang der zu analysierenden Problemkomplexe hinweisen, angefangen bei der Kompetenzaufteilung Bund-Kantone und der Definition der Krisenvollmachten der Exekutive über die Gewinnung eines hinreichenden Lagebilds im Chaos, die Vorbereitung tauglicher Entscheidungsgrundlagen und die Definition der Kommunikationsgrundsätze bis zur demokratischen Kontrolle, zur nachträglichen Rechenschaftsablage und zur zeitgerechten Wiederherstellung der normalen Lage. Klare Prämisse bleibt natürlich, dass die strategischen Führungsentscheide vom Bundesrat getroffen werden müssen.

VII

Als Mann der mittelständischen Wirtschaft, als den ich mich mindestens so sehr wie als Politiker wahrgenommen habe, gestatte ich mir am Schluss, noch eine grosse Sorge auszudrücken. Alles, was von denen im Lande, die alles kritisieren und nichts verantworten, gefordert wird, braucht jemand, der vorher erarbeitet, was sie verteilen können. Das ist die Wirtschaft. Sie macht einen guten Job im Lande, einen besseren im Mittel, als die Politik. Aber diese mäkelt und reguliert permanent an ihr herum. Noch läuft es erstaunlich gut. Das Umfeld aber, in dem sich auch die Wirtschaft behaupten muss, wird spürbar härter. Die Erschwerungen im Freihandel, der Kampf der grossen Hochsteuerländer gegen Stärken der agilen und erfolgreichen kleinen Konkurrenten, der starke Franken, der Mangel an Fachkräften, Corona, das ungeregelte Verhältnis zum wichtigsten Exportkunden EU, der Regulierungstsunami, der auch die Schweiz erfasst hat, die Inflation: Schon alles das allein erschwert das Wirtschaften massiv. Gleichzeitig wird die Wirtschaft von einer permanenten Kaskade wirtschaftsfeindlicher Volksinitiativen bedroht, deren Ablehnung durch das Volk nicht mehr so sicher wie früher ist, und auch die nur minimalen Anstrengungen zur Erhaltung guter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen lösen sofort ein linkes Protestgeheul gegen angebliche kapitalistische Profiteure aus. Und wohl bald einer Mehrheit der Politiker scheint trotz des Ernstes der Lage das Gewinnen von Wahlen wesentlich wichtiger als das Lösen der zentralen Probleme des Landes zu sein zu sein. Wenn wir unseren Wohlstand langfristig sichern wollen, ist es wichtiger denn je, die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft, und zwar für die Kleinen wie die Grossen, permanent zu verbessern statt zu verschlechtern. Sonst könnte der Wohlstandsesel Wirtschaft im zunehmend garstigen Umfeld eines Tages bocken statt ziehen. Jean-Pascal Delamuraz pflegte zu sagen, «Les Suisses se lèvent tôt et se réveillent tard ». Ich hoffe noch immer, nicht zu spät. Der Preis dafür wäre hoch!

Wir Freisinnigen haben in diesem schrillen Konzert widerstreitender Meinungen als konstruktive, lösungsorientierte Kraft eine besondere Verantwortung. Es obliegt uns, zusammen mit anderen konstruktiven politischen Kräften im Lande durch harte Arbeit dafür zu sorgen, dass unsere Eiche ihre Stärke und unser Schilfrohr seine Elastizität bewahren. Dazu rufe ich uns alle auf!